Bei den meisten Kindern in der Lerntherapie ist das Selbstwertgefühl mehr oder weniger angeknackst, weil sie in ihren schwachen Bereichen eben tatsächlich weniger können als die meisten Mitschüler und sie das auf sich als Person zurückführen. Das wiederum wirkt sich auf die Leistungsmotivation aus - weil wenn ich ohnehin nicht so gut bin, dann brauche ich mich ja auch nicht anzustrengen. So kann es zu einem Teufelskreis kommen. Deshalb ist es essentiell, in der Therapie das Selbstwertgefühl zu stärken und ich freue mich, in der Blogparade darüber zu schreiben.
Was bedeutet denn eigentlich das Wort Selbstwertgefühl? Und was ist mit Selbstvertrauen, Selbstbewusstsein, Selbstwirksamkeit usw.?
Ich definiere Selbstwertgefühl mal als das Gefühl und Bewusstsein, dass ich als Mensch wertvoll bin und Würde habe und geliebt bin - ohne Wenn und Aber, ohne Leistung bringen zu müssen, einfach weil ich bin. Als Christ glaube ich, dass Gott mich bedingungslos liebt (also selbst wenn es keinen Menschen gäbe, der mich liebhat) und wenn ich das schaffe, tatsächlich anzunehmen, stabilisiert das mein Selbstwertgefühl.
Hmm, warum braucht das immer wieder Stärkung? Wenn ich z.B. Fehler mache und sich dann andere noch über mich ärgern, erschüttert das meine Wahrnehmung über mich. Gehe ich nicht konstruktiv damit um, kann das mein Selbstwertgefühl schwächen. Gelingt mir allerdings etwas besonders gut oder ich bekomme ein Kompliment, freue ich mich darüber und fühle mich stärker. Das Gefühl über das, was ich kann und was mich besonders macht, ist also eigentlich eher den im Folgenden erklärten “Selbst-Fähigkeiten” zuzuordnen, ist aber auch nicht wirklich zu trennen vom Selbstwertgefühl.
Selbstvertrauen: Das drückt eher mein Vertrauen darauf aus, dass ich mit meinen Fähigkeiten und Persönlichkeitseigenschaften in der Lage bin, Situationen zu meistern.
Selbstbewusstsein: Ich bin mir meiner Fähigkeiten und Eigenschaften bewusst und kann deshalb stark sein.
Selbstwirksamkeit: Ich erlebe im Tun, dass ich selbst etwas schaffen, kreieren, bewältigen kann. Dadurch spüre ich Sinn und es stärkt mich.
Selbstständigkeit: Je mehr ich alleine ohne Hilfe schaffe, desto stärker fühle ich mich.
Wie fördere ich das Selbstwertgefühl in der integrativen Lerntherapie?
Das “Das bin Ich”-Blatt:
Diese Methode habe in meiner Weiterbildung bei Wege für Kinder mitgenommen.
Ich mache das so: Zu Beginn der Therapie sucht sich jedes Kind ein Din A 4 Blatt in seiner Lieblingsfarbe aus und malt sich selber so groß wie möglich auf das Blatt. Es muss nicht superschön gezeichnet sein, es sollen aber deutlich Kopf mit Ohren und Mund, Hände und Beine zu erkennen sein.
Und dann gehen wir auf Stärkensuche! Ich vermittle dem Kind, dass es vielleicht in seinem Übungsbereich noch nicht so gut ist, und trotzdem ganz viele Eigenschaften hat, die es besonders und wertvoll machen. Die wollen wir aufspüren, aufschreiben und uns darüber freuen.
Gemeinsam überlegen wir, was das Kind wohl gut kann, die Gliedmaßen helfen dabei. Wenn ihm nichts einfällt, frage ich, was es denn z.B. mit den Beinen kann (schnell rennen, Ski fahren usw.). Diese Fähigkeiten oder auch Hobbys werden zu dem entsprechenden Körperteil geschrieben, in dem Fall zu den Beinen. Wenn mir eine Eigenschaft auffällt, spreche das Kind darauf an, versuche mit dem Kind ein Wort dazu zu finden und es soll überlegen, zu welchen Gliedmaßen es gehört. Und wenn es das möchte, dahinschreiben.Dieses Blatt holen wir im Lauf der Therapie immer wieder raus und sehen nach, wieviel das Kind schon kann und wie besonders es ist.
“Die Stärkenhände” auch aus meiner Weiterbildung:
Zu Beginn der Therapie. Das Kind legt die Hände auf ein Blatt und ich umfahre die Umrisse. Und nun bekommen seine Eltern oder andere ähnlich nahe Bezugspersonen die Hausaufgabe, in jeden Finger eine Stärke, Fähigkeit, positive Eigenschaft des Kindes zu schreiben. Das bewirkt oft auch bei den Bezugspersonen eine Änderung ihrer Perspektive, die oft eher auf die Schwächen des Kindes gesehen haben (sonst wäre es ja nicht bei mir). Sie sehen dann ihr Kind mit viel positiveren Augen, was sich auch positiv auf dessen Selbstwertgefühl auswirkt. Diese positiven Eigenschaften bespreche ich beim nächsten Mal mit dem Kind.
Die Kinder können natürlich auch selbst in die Hände schreiben, Beispiele dafür findet man im Blog meiner Kollegin Sabine Landua“Die rosarote Brille”: Bevor ich dem Kind begegne, überprüfe ich, was ich für eine Sichtweise auf die Therapiestunde und das Kind habe. Merke ich, dass ich noch in Stress von vorher verhaftet bin und eher genervt bin, kann ich die unsichtbare “rosarote Brille” aufsetzen. Wenn jemand verliebt ist, sagt man ja auch, er hat eine rosarote Brille auf und sieht nur das Gute am anderen. D.h. ich besinne mich darauf, was ich an dem Kind mag, wie wertvoll es ist und dass ich heute wieder etwas Besonderes an ihm entdecken kann. Diese Sichtweise spürt das Kind und ich bin offener, alles Mögliche Gute aufzuspüren.
Umgang mit Fehlern. Da Selbstwertgefühl zu haben, ja bedeutet, sich unabhängig, von dem, was man nicht kann, wertvoll zu fühlen, halte ich einen gesunden Umgang mit auftauchenden Fehlern für sehr wichtig. Darauf gehe ich in diesem Blogartikel genauer ein.
Ich wähle das Niveau des Lernstoffs so aus, dass das Kind ihn gut schaffen bewältigen kann, es aber dennoch eine gewisse Herausforderung darstellt. - das nennt man Arbeiten an der Null-Fehler-Grenze, weil das Kind auf dem Niveau ganz wenige bis gar keine Fehler machen wird. Das stärkt die Selbstwirksamkeit, weil es auf einem Gebiet, in dem es sonst als schwach erlebt nun doch so was kann.
Generell lege ich auch Wert darauf, die Selbstwirksamkeit und Selbstständigkeit fördern. Ein Kind, das spürt: “Ich kann was bewirken, ich schaffe etwas alleine” ist stärker. Das fördere ich, indem ich das Kind so viel wie möglich selbst entscheiden lasse. Es darf z.B. beim Kartenspiel die Karten austeilen, Spielregeln abändern, es darf mir auch mal was diktieren und meine Fehler korrigieren (da werden einige zu finden sein). Bei Problemen frage ich das Kind, was ihm für eine Lösung einfallen würde und lasse mich möglichst darauf ein, bzw. beziehe seine Gedanken explizit mit ein. Ich halte die Augen offen, was selbst für Impulse kommen und greife die auf. Ein Kind hatte z.B. sich komplett selbst ausgedacht, ein Glas mit Zettelchen, auf denen Möglichkeiten stehen, wie man gut für sich sorgen kann, zu füllen. Dieses Glas werden wir in den nächsten Therapiestunden versuchen, immer mehr zu füllen und einzubeziehen (das hätte ich vielleicht auch, wenn es mir selbst eingefallen wäre, aber so hat es viel mehr Kraft!)
Zuletzt: Ich lobe die Kinder viel und zwar so spezifisch wie möglich. Wenn ein Kind mir z.B. ein selbstgemaltes Bild zeigt, betrachte ich dieses aufmerksam , sage, was mir daran gefällt, worüber ich mich bei dem Anblick freue. Wenn ein Kind etwas dieses Mal besser gewältigt hat als die vorigen Male, streiche ich heraus, was mir an seiner Leistung imponiert (hat es sich besonders angestrengt, ist ihm etwas noch besser als sonst gelungen). Wichtig ist, dass das Lob zum Kind passt, und ich es nicht pauschal für etwas lobe, von dem es eh schon weiß, dass das es das auch mit links kann.
All diese Komponenten stärken das Selbstwertgefühl und das wirkt sich wiederum positiv auf das Lernen aus. Ob jetzt jede Methode auf dein Kind passt, ist auszuprobieren, jedes Kind ist anders und springt auf anderes an.
Schreib mir doch in die Kommentare, was dein Kind stärkt!